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Zeit für eine Berücksichtigung der Kaufkraft?

VHB expert Robert Ullmann zur aktuellen Steuerschätzung in Zeiten hoher Inflation

Im Mai 2022 veröffentlichte die Bundesregierung ihre Steuerschätzung für die kommenden Jahre bis 2026. Scheinbar steigenden Steuereinnahmen stehen voraussehbare große Unsicherheiten aufgrund sich überlagernder Krisen gegenüber. VHB expert Prof. Dr. Robert Ullmann, Lehrstuhlinhaber für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Augsburg, sieht die Zahlen im Zusammenhang und schlägt eine realitätsnahe Einschätzung der Spielräume öffentlicher Haushalte vor.

Höhere Steuereinnahmen, schlechtere Konjunkturaussichten
Der Arbeitskreis Steuerschätzung beim Bundesministerium der Finanzen erwartet in seiner Frühjahrsschätzung für das Jahr 2022 Gesamtsteuereinnahmen von knapp 890 Milliarden Euro. Das sind mehr als 40 Milliarden Euro mehr als zuletzt im November 2021 geschätzt. In nicht allzu ferner Zukunft sollen die Gesamtsteuereinnahmen im Jahr 2026 zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Billion Euro übersteigen. Und dies, obwohl die Bundesregierung erst kürzlich ihre Prognose für das reale Wirtschaftswachstum für das laufende Jahr von 4,1% auf 2,2% deutlich nach unten korrigiert hat.

„Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“
Die auf den ersten Blick widersprüchliche Entwicklung der ansteigenden Steuereinnahmen bei nachlassendem (realen) Wirtschaftswachstum lässt sich bei genauerem Hinsehen durch die deutlich nach oben angepasste Inflationsprognose erklären. Infolgedessen entstehen nahezu mechanisch Mehreinnahmen bei der Umsatzsteuer und der Einkommensteuer (verstärkt noch durch die Steuersatzeffekte aus der „kalten Progression“). Zwar war die Schätzung der Steuereinnahmen seit jeher mit erheblicher Unsicherheit behaftet, allerdings rührte dies in der Vergangenheit meist von der Unsicherheit bezüglich unerwarteter Konjunktureinbrüche oder Konjunkturerholungen. Eine Anpassung der Steuerschätzung aufgrund eines derart dramatischen Anstiegs der Inflationsrate ist in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einzigartig und stellt die Adressaten der Steuerschätzung vor neue Herausforderungen.

Gute Zahlen, schlechte Zahlen
Angesichts der vermeintlich neuen Spielräume in den Haushalten werden sich neben dem Bundesfinanzminister und den Finanzministern der Länder auch die Kämmerer in den fast 10.800 Gemeinden rasch zahlreichen neuen Ausgabewünschen ausgesetzt sehen. Doch die hohe und in naher Zukunft wahrscheinlich weiter steigende Inflation wird neben den Steuereinnahmen auch die Ausgaben der öffentlichen Haushalte anwachsen lassen. Die vermeintlichen finanziellen Spielräume werden dahinschmelzen. So ist zu erwarten, dass insbesondere die Personal- und Sachausgaben, welche einen beträchtlichen Anteil der öffentlichen Ausgaben ausmachen, deutlich ansteigen werden. Aber auch die Ausgaben für Transferzahlungen und den Schuldendienst werden in absehbarer Zeit ansteigen. Deshalb wäre es an der Zeit, die nächste Steuerschätzung um eine kaufpreisbereinigte Schätzung des Steueraufkommens zu ergänzen. Dies würde es allen Beteiligten erleichtern, sich ein realistischeres Bild von den tatsächlichen finanziellen Spielräumen in den öffentlichen Haushalten zu machen und so eine solide Haushaltsplanung ermöglichen.

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Foto: Matt Howard auf Unsplash.com