Informationssignale in digitalen sozialen Medien

Sind aggregierte Informationen aus digitalen sozialen Medien gehaltvoll oder „Schall und Rauch“?

Andranik Tumasjan, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Aggregierte Informationssignale in digitalen sozialen Medien (bspw. gewonnen durch das Textmining einer großen Anzahl von Twitter-Posts) bilden nicht nur unterschiedliche politische, gesellschaftliche und ökonomische Ereignisse ab, sondern können diese unter bestimmten methodischen und inhaltlichen Bedingungen auch vorhersagen. Die inzwischen über zehnjährige Forschung dazu zeigt insgesamt, dass solche aggregierten Informationssignale durchaus als ein valides, jedoch vergleichsweise „schwaches Signal“ interpretiert werden können.

Digitale soziale Medien, wie beispielsweise Twitter, sind aus der heutigen Medienlandschaft nicht mehr wegzudenken und beeinflussen bzw. spiegeln politische, gesellschaftliche und ökonomische Diskurse. Während es evident ist, dass die von den Nutzerinnen und Nutzern verfassten Nachrichten (z.B. „Tweets“) vielfach substanzielle Inhalte enthalten, ist jedoch auch bekannt, dass zahlreiche Twitter-Nachrichten belanglose Inhalte darstellen, bewusst manipulativ sind oder automatisiert in großen Mengen von so genannten „Bots“ versandt werden.

Eine Frage, die sich hieraus aus sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Sicht ergibt ist die folgende: Lassen sich aus der Aggregation einer großen Anzahl von Nachrichten zu bestimmten Themen oder Inhalten (z.B. über bestimmte Unternehmen, Technologien, Produkte usw.) gehaltvolle Informationen zur Beschreibung politischer, gesellschaftlicher und ökonomischer Phänomene gewinnen? Oder sind solche aggregierten Informationen „Schall und Rauch“ und „unerhebliches Rauschen“? Stellen digitale soziale Medien eventuell gar Informationsmärkte dar, deren aggregierte Signale für Vorhersagen von ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Phänomenen genutzt werden können (Sprenger et al., 2014)?

In den letzten 10-15 Jahren haben sich weltweit tausende Publikationen mit diesen Fragen beschäftigt und den Informationsgehalt von sozialen Medien für die Vorhersage bzw. Beschreibung von unterschiedlichen Phänomenen untersucht, wie beispielsweise: politische Wahlen und Meinungsbilder, Aktienmärkte, Marketingerfolg, Kinokarten-Verkaufszahlen, epidemiologische Daten, Cybersicherheitsrisiken oder Naturkatastrophen. Für die Untersuchung wurden hierbei verschiedene Textmining-Methoden zur automatisierten Analyse einer Vielzahl von Texten verwendet (Phillips et al., 2017).

Insgesamt zeigt die Befundlage, dass die so gewonnenen aggregierten Informationssignale unter bestimmten Bedingungen sehr wohl zur Beschreibung und Vorhersage der unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Phänomene genutzt werden können (Phillips et al., 2017). Diese Bedingungen umfassen methodische und inhaltliche Aspekte wie Techniken zur Verbesserung der Qualität „verrauschter“ Daten, die Berücksichtigung systematischer Verzerrungen oder die Anwendung domänen-spezifischen Wissens (Phillips et al., 2017).

In einer aktuellen Studie (Tumasjan et al., 2021) wurde beispielsweise untersucht, ob das Informationssignal „Stimmungslage auf Twitter zu einer innovativen Technologie“ (z.B. Blockchain) die Risikokapital-Bewertung und den Erfolg von Startups, deren Geschäftsmodell auf dieser Technologie beruht, vorhersagen kann. Hierzu wurden mehr als 400.000 englischsprachige Tweets zu 37 unterschiedlichen Technologien im Zusammenhang mit über 4.600 Risikokapitalfinanzierungsrunden sowie etwaigen Börsengängen bzw. Akquisitionen von insgesamt 4.005 US-Unternehmen im Zeitraum von 2008 bis 2017 analysiert.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Stimmungslage auf Twitter zu den untersuchten Technologien tatsächlich die Risikokapitalbewertung der Startups durch Risikokapitalunternehmen vorhersagen kann, nicht jedoch den langfristigen Erfolg der Startups (d.h. Börsengang oder Akquisition). Schließlich zeigte sich, dass Risikokapitalunternehmen die Twitter-Signale in ihre Bewertungen einbeziehen – auch sachkundige und erfahrene Akteure sind also nicht immun gegen einen „Twitter-Hype“. Hingegen sagen die von den Startups gehaltenen Patente bzw. Patentanträge sowohl die Bewertung als auch den langfristigen Erfolg vorher. Insgesamt können aggregierte Informationen auf Twitter somit als „schwaches Signal“ im Vergleich zu etablierten „starken Signalen“, wie Patenten, interpretiert werden.

Andranik Tumasjan, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Quellenangaben:

Phillips, L., Dowling, C., Shaffer, K., Hodas, N., & Volkova, S. (2017). Using social media to predict the future: A systematic literature review. ArXiv preprint. ArXiv: 1706.06134.

Sprenger, T. O., Tumasjan, A., Sandner, P. G., & Welpe, I. M. (2014). Tweets and trades: The information content of stock microblogs. European Financial Management, 20(5), 926-957.

Tumasjan, A., Braun, R., & Stolz, B. (2021). Twitter sentiment as a weak signal in venture capital financing. Journal of Business Venturing, 36(2), 106062.