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Lieferstopp für russisches Öl und Gas: Risikomanagement in Zeiten des Krieges

VHB expert Christoph Weber zu Energie-Engpässen aus Sicht der BWL

Trifft auf das Risikomanagement europäischer Unternehmen die Verballhornung eines deutschen Sprichworts zu: „Spare in der Not, dann hast du Zeit dazu“? Die mit einem Lieferstopp in Öl und Gas verbundenen Risiken für Unternehmen und Gesellschaft sind mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine am 24. Februar 2022 offensichtlich geworden. Christoph Weber, Inhaber des Lehrstuhls für Energiewirtschaft der Universität Duisburg-Essen, beschreibt Hintergründe und Folgen von Embargo und Lieferstopp.

Russland ist kein verlässlicher Partner des Westens mehr
Ende März 2021 lag nicht nur der Spotmarktpreis für kurzfristige Erdgaslieferungen bei unter 20 EUR/MWh. Auch die sogenannten Terminmarktpreise für Lieferungen in den kommenden Monaten und Jahren lagen konstant niedrig. Ende September 2021 zeichneten sich nur kurzfristige Knappheiten ab, ab Frühjahr 2022 wurden nur noch moderat höhere Preise erwartet. Im Mai 2022 ist das Bild ein anderes – noch mehr als zu Kriegsbeginn Ende Februar. Jetzt gibt es klaren Handlungsdruck.

Effektives Risikomanagement ist vorausschauender
Getreu dem Motto: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“ sollten zur Vorsorge nicht nur Liquiditätspuffer gebildet werden. Finanzielle Risiken sollten über länger laufende Verträge abgesichert werden – bei Öl und Gas auch über Futures und Forwards als Termingeschäfte. Aber reicht das?

Engpässe für Öl und Gas unterschiedlich
Öl ist weltweit handelbar und billig und flexibel über Tanker transportierbar. Dass es bei einem russischen Öllieferstopp oder einem westlichen Embargo zu physischen Lieferengpässen kommt, ist unwahrscheinlich – allenfalls in einigen Teilen Ostdeutschlands könnte es eng werden. Mit entsprechenden finanziellen Absicherungsgeschäften können die Unternehmen die verbleibenden Preisrisken begrenzen. Beim Gas gibt es zwar auch einen zunehmenden weltweiten Handel mit verflüssigtem Erdgas, sogenanntem LNG. Aber Transportkapazitäten und Kapazitäten für die Verflüssigung sind knapp – das gilt auch, wenn wie jetzt in Wilhelmshaven schnell hierzulande LNG-Terminals gebaut werden. Wenn kein Gas aus Russland mehr fließt, dann helfen Unternehmen auch vertragliche Absicherungen nur begrenzt. Im Notfall übernimmt die Bundesnetzagentur die „Lastverteilung“ für Erdgas und entscheidet, wer bei mangelnden Liefermengen temporär abgeschaltet wird. Dann helfen nur physische Alternativen – alte Ölkessel oder Wärme aus Strom. Wer hier nicht vorgesorgt hat, wird das nicht von heute auf morgen bewerkstelligen.

Fazit: Die Verschränkung der Rollen von Politik und Markt
Über den konkreten Anlass hinaus wird bei Öl und Gas deutlich, wie stark Politik und Markt verschränkt sind. Politische Weichenstellungen beeinflussen das Marktgeschehen (Beispiel Klimaschutz), Politik sieht aber auch die Vorteile von Marktmechanismen: Zumindest Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, überlegt, ob bei einem Gaslieferengpass Auktionen genutzt werden, um zu ermitteln, wer das dann knappe Gas am meisten braucht.

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