Schlaglichter der BWL
Klassiker, Ideen, Begriffe. Eine Auswahl des VHB
Die zur Geschichte einer Disziplin zählenden Ursprünge von Erkenntnissen, Lehrsätzen und Methoden lebendig zu halten bietet eine Fülle von Vorteilen. Das ist leicht behauptet, damit aber noch nicht plausibel begründet. Das soll in den folgenden Punkten geschehen.
- Es gibt eine Sorte von Literatur, die besonders auf Managerinnen und Manager sowie Journalistinnen und Journalisten anziehend wirkt, die ich Guru-Literatur nenne. Da kommt in gefälliger Diktion etwas daher, das als völlig neu, das hergebrachte Management von Grund auf in Frage stellend oder die zugrunde liegende Wissenschaft polemisch kritisierend präsentiert wird. Bevor daraus eine Mode wird – die, wenn sie von nahezu allen befolgt wird, auch keine Wettbewerbsvorteile mehr bietet und individuelle Verantwortlichkeit auf „cosi fan tutte“ reduziert – hilft eine kritische Analyse der Methodik zur Gewinnung der neuen Erkenntnisse, der Validität der Daten, der Logik der Folgerungen. Es hilft aber auch zu prüfen, ob sich hinter gefälligen neuen Begriffen nicht tatsächlich längst Bekanntes verbirgt. Es kommt auch vor, dass ein Begriff für Bekanntes zur Erreichung einer neuen Erkenntnis umgedeutet wird. Wenn die von Alfred Rappaport in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts beschriebene, langfristige shareholder value-Orientierung von Unternehmen – die noch ältere Quellen hat – als kurzfristige, Stakeholder-Interessen vernachlässigende Unternehmenspolitik beschrieben wird, hat das mit dem ursprünglichen Konzept nur noch den Namen gemeinsam.
- Es gibt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nur noch kennen, was im Internet zu finden ist. Großes Erstaunen löst dann aus, wenn auf ältere Quellen verwiesen wird, die zumindest bisher nicht digitalisiert sind. Ähnlich ist es, wenn „modernere“ Begriffe an die Stelle von älteren getreten sind, so dass die Internetsuche nach den moderneren Begriffen nicht zu den älteren führt. „Agency“ gab es unter diesem Begriff früher nicht. Es ist leicht gesagt, dass neue Erkenntnisse „auf den Schultern von Riesen“ aufbauten – wie Bernhard von Chartres im 12. Jahrhundert meinte–, man muss dann nur auch die alten Erkenntnisse finden.
- Die Vermeidung von Sackgassen und die unfruchtbare Wiederholung früherer Erkenntnisse – nicht zu verwechseln mit der Prüfung von Befunden in erweiterten oder alternativen Kontexten – wird durch Kenntnis der Ideengeschichte sehr erleichtert. Das fördert die Produktivität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, denn ihre Zeit ist nicht vermehrbar. Deshalb muss man sie besonders weise nutzen. Wenn die Staatsaufsicht von Aktiengesellschaften in früheren Jahrhunderten, vor allem im 19. Jahrhundert, massive und bekannte Mängel aufwies, so muss man solche Konzepte nicht in ähnlicher Form erneut erarbeiten und vorschlagen.
- Umgekehrt bringt es wenig, wenn man „blind“ frühere Erkenntnisse in einen moderneren Zusammenhang stellt. Der Kontext, in dem eine Erkenntnis gewonnen wurde, muss berücksichtigt werden. Wenn in früheren Jahren methodische und technische Mängel nicht das Maß an Transparenz ermöglichten, welches man heute kennt, um die Aktionen von „Agenten“ durch „Prinzipale“ kontrollieren zu können, ist ein anderes Verhältnis von Anreizen, Kontrolle und Bestrafung zweckmäßig als früher.
Die vier Gesichtspunkte legen nahe, der Ideengeschichte einen angemessenen Platz in Lehre und Forschung eines Faches, auch der Betriebswirtschaftslehre und ihren Teildisziplinen, einzuräumen. Sie bewahrt und pflegt das Tafelsilber der Disziplin und sie hilft, Silber von Nickel oder anderen Nachahmungen zu unterscheiden.
Literatur
Klaus Brockhoff, Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte, 6.A., Wiesbaden 2021.
Wenzel Matiaske/Wolfgang Weber, Hrsg., Ideengeschichte der BWL, Wiesbaden 2017.
Günther Schanz, Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, Konstanz/München 2014.
Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 3.A., 2. Nachdr., München/Wien 1994.